Das Vier-Augen-Prinzip und die durchgehende Betreuung

Von Rolf Widmer

Die Sicht von aussen und das stetige Angebot zur Reflexion des eigenen Verhaltens in der Erziehung des Kindes ist nicht nur bei Problemen in der Familie, aber besonders dann hilf- und erfolgreich. Für das Kind bedeutet eine begleitende externe Bezugsperson, die sich für es interessiert und es ernst nimmt, auch eine Verbindung zu seinen Pflege- und leiblichen Eltern. Fachbegleiter·innen setzen sich hundertprozentig für die Interessen des Kindes ein und bilden zusammen mit den Pflegeeltern und dem Kind ein verbindliches Beziehungsangebot mit dem Ziel, das Kind im Hier und Jetzt prozesshaft abgestimmt auf ein selbstständiges Leben vorzubereiten.

Unser gemeinsames Anliegen ist es, dass alle Kinder und Jugendlichen, die bei tipit leben und lernen, bedingungslose, verlässliche und belastbare Beziehungen erleben. Was aber bedeutet das in den Settings, mit denen es  tipiti zu tun hat, wo Kinder also nicht oder nicht «nur» mit ihren leiblichen  Eltern aufwachsen können? Wir denken: Während des gesamten Aufenthalts eines Kindes in einem unserer Lebensräume erlebt es eine Zugehörigkeit in der «Familiengemeinschaft» mit ihrem unvergleichlichen Angebot des Zusammenlebens unter einem Dach.

Der Blick von aussen
Wichtig ist uns, dass jederzeit eine weitere Bezugsperson da ist, welche das Kind und die Pflegeeltern begleitet und mit beiden im regelmässigen Austausch ist. Dem Kind steht eine vertraute zusätzliche Person während der ganzen Zeit seiner Entwicklung zur Seite. Es steht nicht in völliger Abhängigkeit von den Personen, bei denen es lebt. Genau so, wie ein Kind in einer «Normalfamilie» meistens eine Gotte, einen Grossvater oder sonst jemanden hat oder haben sollte, dem es sich mal anvertrauen kann. Besonders hilfreich kann das in einer Krisensituation sein: Das Kind kann auf die externe Person zugehen und erfährt, dass diese sich interessiert und kümmert.

Das eigene Handeln reflektieren Hauptziel unserer Arbeit ist es, Kindern  und Jugendlichen Erfahrungen zu ermöglichen, wo sie spüren, dass sie wertvolle Menschen sind und wissen, dass sie zu ihrem Umfeld Vertrauen haben können und das ihnen vertrauensvoll begegnet. Und immer wieder hinzuschauen und sich zu fragen: Sind wir auf dem richtigen Weg? Nehmen wir das Interesse des Kindes optimal wahr? Dieser Austausch für Eltern und Kind begünstigt eine kontinuierliche und fachlich fundiert begleitete Reflexion des eigenen Verhaltens der Eltern und der Kinder. Wenn es mal ein Problem gibt, ergibt sich daraus, wie auch sonst im erzieherischen Alltag, ein Nachdenken darüber: Welchen Anteil am Problem habe ich selbst und welcher liegt beim Kind? Welcher an-dere Zugang steht mir als erwachsener Person zur Verfügung? Als Beispiel: Ein Kind stiehlt in der Familie. Soll das Kind stigmatisiert werden und in der Folge in seinem Verhalten ver-harren oder kann ein Prozess in Gang kommen, in welchem das Kind «es» wieder gut machen kann?

Prozessorientierte Begleitung
Prozessorientiert bedeutet für die Mitarbeitenden von tipiti, dass sie laufend die psychische und körperliche Entwicklung des Kindes wahrnehmen und darauf achten, welches die Interessen des Kindes sind und wo das Kind Erfolgserlebnisse haben kann, die ihm den Aufbau seiner Persönlichkeit erleichtern. Es wäre allen Familien zu wünschen, dass sie sich nicht isoliert fühlten. Meistens redet man nicht gerne nach aussen darüber, wenn man Probleme hat. Wir meinen aber: Über die Lösung von Problemen kann man sich auch weiterentwickeln. Für Pflegefamilien ist eine Begleitung im Prozess der Erziehung besonders wichtig, denn sie kennen nicht die ganze Lebensgeschichte des Kindes. Bei eigenen Kindern sieht man oft Dinge, die man bei sich selbst kennt. Beim Pflegekind schreibt man ein Problem gerne dem Kind zu. Hier hilft das Reflektieren mit einer aussenstehenden Fachperson.

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