Die Pflicht zur Zuversicht

Zuversicht streuen, eine Pflicht.

Ein Fachbeitrag von Donat Rade, Bereichsleiter Jugendliche und junge Erwachsene

Was brauchen Eltern, Pflegeeltern, Lehrpersonen und andere Fachleute, um den Kindern zu geben, was sie brauchen?

Diese wichtige Frage vergessen wir zu berücksichtigen, wenn wir uns ausschliesslich daran orientieren, was Kinder brauchen. Wir wollen bedingungslose, belastbare und verlässliche Beziehungen aufbauen? Wie kann das gelingen? Um es in den Worten des Golden Circle von Simon Sinek (vgl. Beitrag zum tipiti Zukunftstag im Newsletter November 2022) zu sagen: Wenn wir uns nur um das «Was?» kümmern, laufen wir Gefahr, auszubrennen. Wir tun mehr und mehr, weil unsere Bemühungen nicht zu genügen scheinen.

Methoden, Werkzeuge, Fähigkeiten und Wissen können hilfreich sein. Doch wichtiger als, was wir tun, ist, warum und wie wir es tun. Tun wir es mit der Sorge, dass es vielleicht nicht nützt und, weil wir nicht anders können oder wissen? Oder tun wir es mit Freude, mit Überzeugung und Zuversicht? Auf dem Ticket zu unserem Zukunftstag stand deshalb: «Wer ein Warum hat, dem ist kein Wie zu schwer.» (Friedrich Nietzsche)

Zuversicht entsteht aus der Überzeugung, dass das, was man tut, einen Wert hat.

Wenn ich in der Begleitung von Pflegeeltern etwas gelernt habe in letzter Zeit, ist es das: Nichts stärkt mehr als Zuversicht. Die Zuversicht wiegt mehr als Optimismus, sie ist unabhängig vom unmittelbaren Erfolg. Sie ist die Offenheit, mit verschiedenen Möglichkeiten umzugehen. So gesehen, ist es als Begleiter von Menschen meine Aufgabe zu stärken oder anders gesagt die «Pflicht, Zuversicht zu streuen».

  

Die Pflegemutter Gaby Schwarzkopf hat mit ihrer Familie einen elfjährigen «unbegleiteten Geflüchteten» aufgenommen. Ich habe sie gefragt, was ihre Zuversicht ausmache. Hier ihre Antwort:

Zuversicht setzt für mich die innere Bereitschaft voraus, mich überhaupt auf eine Herausforderung einzulassen und von Herzen ja dazu sagen zu können. Wenn mir das gelingt, bin ich motiviert, die Herausforderung anzunehmen, und zuversichtlich, dass ich sie auch meistern kann.

Zuversicht macht für mich grundlegend und in allen Lebenssituationen aus, das Vertrauen zu haben, dass sowieso alles gut kommt und einen Sinn hat – wohin auch immer der Weg führt. In der Begleitung meines Pflegesohnes hilft mir dieses Vertrauen manchmal, anspruchsvolle Momente etwas gelassener zu nehmen.

Zuversicht macht für mich weiter aus, zu wissen, dass anspruchsvolle, schwierige Phasen zwar manchmal anstrengend und im ersten Moment vielleicht schmerzhaft, schliesslich jedoch extrem wertvoll sind. Sie sind eine Einladung, genau hinzuschauen, zu lernen und zu wachsen.

Zuversicht hilft mir ausserdem, zwischen dem Menschen und seinem Verhalten zu differenzieren. Wenn ich den Menschen grundsätzlich wertschätze und respektiere, gelingt es mir viel besser, mit seinem für mich unangemessenen Verhalten zurecht zu kommen. Das gibt mir in der Begleitung meines Pflegesohnes die Zuversicht, nicht immer gleich alles in Frage stellen zu müssen und auch anspruchsvolle Phasen zusammen durchzuhalten.

Was meine Zuversicht auch noch ausmacht, ist zu wissen, dass es kein Scheitern gibt, sondern Misserfolge Anfang eines Erfolgsprozesses sind. Das gibt mir Mut, mich neuen Herausforderungen zu stellen, auch wenn die Möglichkeit besteht, dass es anders kommt als erhofft.

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