Die «Schule des Unmöglichen» – wie sie möglich wird

Seit drei Jahren führt tipiti die Volksschule im Bundesasylzentrum Altstätten. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, wenn man die fast täglichen Veränderungen vor Ort betrachtet. Doch mit viel Engagement und dem Einbezug eines weiten Netzwerks macht tipiti es möglich.

Eva Graf Poznicek, Schulleiterin

Die Aufgabe lautet: Organisieren Sie eine Schule für Kinder und Jugendliche im Alter von 4 bis 17.99 Jahren, in der jeden Tag ein Kind wegzieht und jeden Montag fünf bis zehn neue Schüler:innen eingeschult werden, ein Teil von ihnen zum ersten Mal in ihrem Leben. Schwierig. Eine Schule, in der alle Schüler:innen erst vor wenigen Tagen in der Schweiz angekommen sind und eine bedrohliche Reise hinter sich haben, oftmals ganz ohne Begleitung. Sehr schwierig. Eine Schule, für die immer wieder innert kürzester Zeit Lehrpersonen, Klassenassistenzen und Schulräume gefunden werden müssen, in der die Schüler:innen Farsi, Somalisch, Kurdisch, Albanisch und viele weitere Sprachen sprechen, aber kein Deutsch. Wie soll das überhaupt gehen?

Im Frühjahr 2019 hat sich tipiti diesen Herausforderungen gestellt und betreibt seither mit viel Leidenschaft und Engagement die Volksschule im Bundesasylzentrum Altstätten. Die Schule hat drei ständig geführte Klassen und kann je nach Anzahl neuankommender Kinder und Jugendlicher beim Kanton einen Antrag auf ein bis zwei weitere befristete Klassen stellen. Der Standortkanton St.Gallen, der verantwortlich für die Beschulung ist, gibt das Schulkonzept vor und hat tipiti einen Leistungsauftrag fürs Führen dieser «Schule des scheinbar Unmöglichen» erteilt.

Es braucht ein weites Netzwerk

Nach drei Jahren steht für uns fest: Diese Aufgabe lässt sich nur als Gemeinschaftsprojekt lösen – mit einer grossen Portion Flexibilität, Achtsamkeit und Engagement. Die Mitarbeitenden müssen alle am gleichen Strick ziehen, die gleichen Werte vertreten und ganz im Sinne von tipiti «ins Gelingen verliebt sein».

Doch dies alleine reicht noch nicht aus: Fürs Gelingen braucht es ein weites Netz an Menschen und Organisationen, auf das wir auch in den äusserst herausfordernden, oftmals unvorhergesehenen Situationen zählen können. Denn die Situation im Bundesasylzentrum ist in konstantem Wandel. Hier fühlt man die Auswirkungen der Weltpolitik schon nach wenigen Wochen direkt im Klassenzimmer.

Fäden spannen und pflegen

Unser Netzwerk ist vielfältig und weitet sich immer mehr aus. Wir arbeiten eng mit den verschiedenen Fachpersonen im Bundesasylzentrum zusammen: mit den Sozialpädagog:innen der Asylorganisation Zürich AOZ, welche die Betreuung vor Ort sicherstellen, wie auch mit den Verantwortlichen des Staatssekretariats für Migration SEM, die das Asylverfahren durchführen. Ausserdem sind wir in Kontakt mit den Jurist:innen und Berater:innen des HEKS, die unsere Schüler:innen im Verfahren rechtlich beraten und vertreten.

Wir sind aber auch bestrebt, Verbindungen ausserhalb des Zentrums zu knüpfen und damit das Sicherheitsnetz um unsere Schule immer stärker und engmaschiger werden zu lassen. So arbeiten wir zum Beispiel mit dem Kafi 51 der Kirchen zusammen, wie auch mit dem Wohnheim Union, den Handwerksbetrieben, der Stiftung MALIA und dem Altersheim Blumenfeld, die uns temporär Räume als Klassenzimmer vermieten, und den Altstätter Schulen, deren Turnhalle wir benutzen können.

Wir spannen auch Fäden zur Pädagogischen Hochschule, deren Studierende bei uns Besuche, Praktika und Projekte machen und mitarbeiten, wie auch zu unseren Freund:innen und Familien, die mit anpacken und so den Lehrpersonen und Klassenassistenzen ermöglichen, auch mal Abstand zu nehmen und abzuschalten. Abgerundet wird unser Netzwerk durch Institutionen, die unsere Klassen an lokalen Traditionen teilhaben lassen, wie beispielsweise die Kulturwoche, die Guggenmusik und die Adventsaktion der Kirchen.

Wollen Sie die eingangs gestellte Aufgabe erfüllen, so stellen Sie ein vielfältiges Team zusammen, erarbeiten und pflegen Sie eine gemeinsame Haltung, spannen Sie ein starkes Netzwerk, leisten Sie viel persönliches Engagement und vertrauen Sie ins Gelingen. Das hat tipiti im Bundesasylzentrum Altstätten getan und damit eine eindrückliche und sinnstiftende Schule geschaffen.

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