Das berühmte Dorf, das es braucht

Kinder und Jugendliche brauchen verlässliche Beziehungen, um sich entwickeln zu können. Bei tipiti weben wir ein dichtes Beziehungsnetz um unsere Pflegekinder, das sich ganz an ihren Bedürfnissen orientiert. Dabei hinterfragen wir auch mal Rahmenbedingungen kritisch, wenn sie für die Entwicklung eines Kindes oder Jugendlichen nicht hilfreich sind.

Rolf Widmer, operativer Leiter

Längst ist das afrikanische Sprichwort auch bei uns in aller Munde: «Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind grosszuziehen.» Gerade Pflegekinder, deren leibliche Eltern ihnen nicht alles geben können, was sie brauchen, sind auf ein Netz von Beziehungen mit verschiedenen Ansprechpartnern angewiesen, die sich für ihre Bedürfnisse einsetzen. Bei tipiti sind wir deshalb bestrebt, ein ganzes «Dorf» – aber ausschliesslich im übertragenen Sinn – um unsere Pflegekinder und -jugendlichen aufzubauen.

An den Bedürfnissen des Kindes orientiert

Im Zentrum dieses Dorfs stehen die Kinder und Jugendlichen selbst. Wir fragen immer zuerst: Was braucht das Kind, was dieser junge Mensch? Ausgehend davon bauen wir ein Beziehungsnetz auf, das ihn optimal unterstützen kann. Verlässliche Beziehungen sind das zentralste Element für die positive Entwicklung eines jungen Menschen. Für sie oder ihn ist es wichtig zu spüren, dass es wirklich um ihn geht: Jemand glaubt an mich. Jemand geht ganz persönlich auf mich ein. Das hat eine andere Qualität, als wenn Kinder zum Beispiel in einer Institution eine kollektive Begleitung erleben. Das Gefühl von Zugehörigkeit entsteht über direkte Beziehungen mit anderen Menschen.

Ausgehend davon knüpfen wir das Beziehungsnetz in mehreren Kreisen um das Kind: Im innersten Kreis befinden sich die Menschen, die direkt mit dem Kind zu tun haben, also Pflegeeltern wie auch leibliche Eltern. Ihre Beziehung zum Kind ist zentral für seine Entwicklung. Im nächsten Kreis finden sich die Menschen in den Fachinstitutionen, die das Kind und seinen innersten Kreis unterstützen: Mitarbeiter:innen von tipiti, Lehrer:innen, Sozialarbeiter:innen und Therapeut:innen. Die Arbeit dieser Menschen ist in die gesetzlichen Rahmenbedingungen eingebettet, die den letzten Kreis bilden (Beistände, KESB). Auch hier stellen wir von tipiti die Frage: Was braucht das Kind? Sind die Rahmenbedingungen dafür hilfreich? Wenn wir den Eindruck haben, dass sie das Kind in seiner Entwicklung beeinträchtigen, sind wir auch bereit, behördliche Entscheide zu hinterfragen. Wir wollen uns engagiert und konsequent für die Entwicklungsbedürfnisse des Kindes einsetzen.

Rahmenbedingungen auch mal verändern

Ein gutes Beispiel dafür ist die Betreuung und Schulung unbegleiteter Minderjähriger, die tipiti seit 2016 für den Kanton AR übernommen hat. In den meisten Kantonen kommen unbegleitete Minderjährige mit achtzehn in eine erwachsene Struktur und haben keinen Anspruch auf altersgemässe Begleitung mehr. Dies ist problematisch, werden die Jugendlichen doch aus ihrem bisherigen Umfeld gerissen und müssen sich mit neuen Amtsstellen zurechtfinden. Uns scheint die durchgehende Begleitung für ihre Integration sehr wichtig – aber auch für ihre persönliche Entwicklung. Wir kennen keine Schweizer Jugendlichen, die mit achtzehn ohne eine vertrautes Beziehungsnetz ihr Leben aufbauen können.

Der Kanton AR ermöglicht es, dass wir die unbegleiteten Minderjährigen über ihr achtzehntes Lebensjahr hinaus begleiten können, bis sie beruflich und persönlich auf eigenen Beinen stehen. Tipiti steht den jungen Erwachsenen auf freiwilliger Basis auch anschliessend zur Verfügung. Wir betreuen momentan 60 Jugendliche. 15 davon sind auf eigenständigem Weg, 45 im betreuten System im Lern- und Begegnungszentrum (LBZ) in St. Gallen und in den Schulangeboten des Kantons integriert oder in einer Berufslehre. Alle Lehrabgänger sind finanziell selbstständig. Praktisch alle erhielten nach ihrer Lehre von ihren Arbeitgebern ein Stellenangebot.

Von lokal bis international

Das Netzwerk von tipiti geht von den lokalen Behörden bis hin zu internationalen Partnerorganisationen, sei es in Ost- und Südosteuropa, Westafrika oder dem Nahen Osten. Mit unserem personenzentrierten Denken und Handeln ist es unser Hauptanliegen, dass die Kinder in Sicherheit und mit einem verlässlichen Beziehungsnetz aufwachsen und Perspektiven für ihre Zukunft ins Auge fassen können. Wir wollen dazu mit allen Beteiligten zusammen ein stimmiges Umfeld für das persönliche Wachstum jedes einzelnen Kindes entwickeln.

zum Netzwerk von tipiti

zurück zur Übersicht