Entwicklung und Bildung gehören zusammen

Vereinspräsident Lukas Weibel
 

Warum tipiti ein gutes Bildungsangebot wichtig ist: Ein Interview mit Vereinspräsident Lukas Weibel.

 

Welche Bedeutung hat die Aus- und Weiterbildung für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen?

Lukas Weibel: Das Entwickeln der Identität prägt die gesamte Kinder- und Jugendzeit. Dazu gehören sichere Orte, stabile Beziehungen, Vorbilder, eigene Lernerfahrungen und Bildung. Der Wunsch, sich selbst als eigenständigen Menschen wahrzunehmen mit allen körperlichen Gegebenheiten, Stärken und Schwächen verstärkt sich mit zunehmendem Alter. Die Reflexion der Werte, des Verhaltens und Handelns ist zentral in dieser Lebensphase; eine individuelle Begleitung ist wichtig, denn alle möchten ihre eigenen Wege gehen. Entwicklung, Lernen und Bildung gehören also zusammen.

Wozu benötigt tipiti ein spezielles Bildungsangebot?

Wir sind eine lebendige und lernende Organisation. Im Zentrum stehen die Menschen, ihre Entwicklungen und Bedürfnisse. Aus- und Weiterbildung von Pflegeeltern, Mitarbeitenden, Lehrenden und Führungskräften sind die Voraussetzung für gesunde, gelingende Entwicklungen und eine erfolgreiche Krisenbewältigung. Auch unsere Kinder und Jugendlichen entwickeln sich im Alltag in der Interaktion mit ihren Bezugspersonen laufend weiter. Diese Wechselbeziehung zwischen gut ausgebildeten Mitarbeitenden und den uns anvertrauten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen fördert täglich neue Lernprozesse. Unsere Weiterbildungsthemen und -angebote haben sich in den letzten Jahren erfreulich entwickelt, sind intern und extern gefragt. Auch wir im Vorstand werden mit dem Leben und besonderen Bedürfnissen von Menschen in unserer Gesellschaft konfrontiert. Bildung war, ist und bleibt immer Teil unserer Strategie.

Gibt es Inhalte, die den Bildungsangeboten von tipiti besonders am Herzen liegen?

Wir fördern Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in ihrer Ausbildung und beruflichen Entwicklung, sie treffen Entscheidungen, ob sie eine Berufsausbildung oder weiterführende Schule absolvieren möchten. Das natürliche Ziel ist es, immer selbstbestimmter und unabhängiger zu werden. In der Kindheit waren Eltern, Pflegeeltern, Betreuende und Lehrende über lange Zeit die vertrauten Bezugspersonen. In der Adoleszenz verlagern Jugendliche ihre vertrauten Beziehungen auf Gleichaltrige, ihre Peergroup. Durch die neu eroberte Autonomie und mit der Unterstützung ihrer Bezugspersonen lernen sie Schritt für Schritt, ihren Weg selbst zu gehen. Der erfolgreiche Abschluss einer Berufsausbildung wird dabei oft zum langersehnten «Ticket in die Freiheit».

Ist es Zufall, dass bei tipiti gerade jetzt der Bildungsbereich mehr Gewicht bekommt, wo der Präsident aus dem Sektor Bildung kommt?

Ob Zufall, Absicht oder einfach nur Glück, kann ich nicht beurteilen. Seit 28 Jahren arbeite ich als Schulsozialarbeiter in der Berufsbildung und begleite Lernende in die Selbständigkeit. Trotz unterschiedlicher Ausgangslagen und Biografien bleiben dank der Ausbildung immer der rote Faden und das Ziel erkennbar. Das gibt eine Vorwärtskraft, trägt in guten und schlechten Zeiten. Klar, das hinterlässt auch bei mir Spuren. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene stehen am Anfang ihres Lebens. Über gesunde Entwicklungen immer eine möglichst optimale Ausgangslage für sie zu schaffen, ist für mich eine Herzensangelegenheit.

Will tipiti die Bildung stärker auszubauen, irgendwann «nur noch» eine Bildungsanbieterin sein?

Wir sind eine dynamische, soziale und vielfältige Non-Profit- Organisation und wollen das bleiben. tipiti kümmert sich in erster Linie um Kinder und Jugendliche, die nicht in der eigenen Familie aufwachsen können. Mit unserem Schulangebot möchten wir verhindern, dass Kinder fremdplatziert werden, weil sie vorübergehend nicht adäquat in einer öffentlichen Schule gefördert werden können. In beiden Bereichen entwickeln wir innovative Angebote für alle Kinder und Jugendlichen, die betroffen sind. Wir wollen eine Balance zwischen den Bereichen Kinder, Jugendliche, Schulen, Flüchtlinge und Bildung halten, auch mit dem Blick auf die Finanzen. Wir brauchen zu Erfolgsgeschichten immer auch finanzielle Erträge, können uns nur kurzfristige Defizite leisten, Aufwand und Ertrag müssen sich die Waage halten.

Was wünscht sich der Präsident für die Zukunft?

Dass wir uns gemeinsam weiterentwickeln und tagtäglich bereit sind, Neues zu lehren und lernen. Wir sind stolz auf unsere Vielfalt. Ich wünsche mir auch, dass es uns gelingt, den Übergang von der «Ära Rolf Widmer» in eine «neue Ära nach Rolf Widmer» achtsam zu gestalten. Rolf Widmer, Gründer und langjähriger operativer Leiter, erklärte an der Jubiläums GV 2016, er wolle tipiti noch zehn Jahre weiterführen. Ich möchte, dass wir diesen Übergang bis 2021 strategisch klären und kommunizieren. Das gelingt uns, wenn alle in ihren Arbeitsbereichen und Funktionen aktiv führen, mitdenken, -tragen und -gestalten. Gemeinsam sind und bleiben wir stark. Es ist mir wichtig, allen Beteiligten für ihre Arbeit und Unterstützung zum Wohle unserer Kinder-, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu danken.