Editorial

Innovation bei der Betreuung junger Flüchtlinge

Von Rolf Widmer

Tipiti betreut im Auftrag des Kantons Appenzell-Ausserrhoden seit Mai 2016 dreissig unbegleitete Minderjährige (MNA) und seit Schuljahr 2017/2018 weitere vierzig junge Flüchtlinge im Alter von 18 bis 22 Jahren. Uns ist wichtig, dass sie wie alle Kinder und Jugendlichen bei tipiti in Sicherheit und mit verlässlichen Bezugspersonen erwachsen werden können. Die Rahmenbedingungen sollen es ihnen möglich machen, Perspektiven für ihre Zukunft zu entwickeln.

Wir möchten, dass alle diese jungen Menschen durch unsere Angebote und ihre Bezugspersonen im Wohn- und Förderbereich ein Anschlussangebot in der Schweiz oder bei einer Rückkehr finden, das ihnen den Aufbau eines selbständigen Lebens erlaubt.

Auch Flüchtlinge können etwas besonders gut

Auch ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling hat nicht nur «besondere Probleme», sondern auch «besondere Fähigkeiten», die wir anerkennen und stärken sollten. An diesen orientieren wir uns und fördern jeden einzelnen Jugendlichen in seinen Ressourcen so selbstverständlich wie den Spracherwerb und andere Kulturtechniken.

Jede/-r Jugendliche hat ein achtstündiges Tagesprogramm mit Sprachkursen, Allgemeinbildung und Arbeitstraining im Werkzentrum. Es sind praktische und schulische Module, um Jugendliche mit einer langen Migrationsgeschichte ihre Motivation und das Selbstvertrauen in ihre Fähigkeiten aufzubauen zu lassen. Es sind spezielle Förderangebote für Jugendliche, die einen Anschluss in eine Berufslehre oder ins Gymnasium schaffen. Und es ist Förderung für schulungewohnte junge Migranten durch praktische Tätigkeiten und Zugang zur deutschen Sprache, um ihnen einen Einstieg ins praktische Berufsleben zu ermöglichen. Mit jedem Jugendlichen wird ein Förderplan erarbeitet, der auf seine Ressourcen und Interessen abgestimmt ist.

Das Gefühl, dazuzugehören

Wie für andere junge Menschen sind auch für junge Migranten konstante Bezugspersonen wichtig, die sie aktiv ins Erwachsenenalter begleiten. Die Betreuung und Integrationshilfe für junge Flüchtlinge kann der Staat nicht alleine leisten. So engagieren wir uns für ein verlässliches soziales Netz aus professionellen Betreuern, integrierten Migranten und Menschen der Zivilgesellschaft, zum Beispiel als Mentor/-innen oder in Vereinen und Klubs, die einen regelmässigen Kontakt «mitten in die Gesellschaft» möglich machen – und das Gefühl geben, dazuzugehören. Langfristige Beziehungen helfen Menschen psychisch stabiler zu sein und sich in Gesellschaft und Arbeitswelt zu integrieren.

An die Menschen zu glauben ist das Besondere

Als besonders innovativ empfinden wir das gemeinsame Verständnis zwischen dem Kanton AR, der Asylberatungsstelle und uns als Leistungserbringer. Allen ist gemeinsam daran gelegen, Flüchtlinge, die als MNA in die Schweiz kommen, bis zur eigenen Selbständigkeit (bis 25 Jahre) oder bis zur Reintegration ins Heimatland zu begleiten. Sie sollen unabhängig von Nationalität und Aufenthaltsstatus das Recht haben sich auszubilden. Und wenn dann pensionierte Handwerker bereit sind, mit ihrer Erfahrung und ihrem immensen Wissen Tag für Tag unseren Jugendlichen Hand zu bieten, damit diese es in ihrem Leben zu etwas bringen können, ist das der Gipfel an zivilgesellschaftlicher Innovation.

Allen Beteiligten danke ich von Herzen und hoffe, dass viele der uns anvertrauten Jugendlichen werden sagen können: Ich konnte trotz belastender Vergangenheit meine Zukunft positiv gestalten – denn ich bin Menschen begegnet, die an mich glaubten.