Editorial

Die Kinderrechte werden dreissig

 

Von Rolf Widmer

Jedes Kind hat Rechte – und zwar die gleichen, egal an welchem Ort der Welt es aufwächst. Dazu gehört das Recht, gesund und sicher aufzuwachsen, sein volles Potenzial zu entwickeln sowie ernst genommen und beteiligt zu werden. Dieses Jahr feiert die UN-Kinderrechtskonvention ihren dreissigsten Geburtstag: Das Kinderrechtsjahr 2019 ist eine Chance, die Verwirklichung der Rechte für jedes Kind voranzutreiben. Denn gemeinsam können wir alle, Regierungen, Wirtschaft, Gesellschaft und jede*r Einzelne, die Welt zu einem besseren Ort für Kinder machen und so wesentlich dazu beitragen, die Nachhaltigen Entwicklungsziele zu erreichen.

Fortschritt braucht Menschen

Fortschritte für Kinder sind möglich, es braucht dazu aber Menschen. Seit der Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention am 20. November 1989 wurde einiges für Kinder erreicht: Mehr Investitionen für die ärmsten Kinder, bessere Schutzgesetze und breite Aufklärung haben mehr Kindern Chancen und Perspektiven eröffnet. Hierdurch ist die Kindersterblichkeit deutlich gesunken und mehr Kinder gehen zur Schule. Auch werden Kinder heute viel eher ernst genommen und das Verständnis dafür, was Mädchen und Jungen in dieser entscheidenden Lebensphase brauchen, ist gewachsen. Trotz dieser Fortschritte werden leider weltweit immer mehr Kinder wegen Konflikten in ihren Ländern ihrer Kindheit beraubt und von einer Ausbildung ausgeschlossen. Alleine im Libanon gibt es zurzeit 250’000 syrische Flüchtlingskinder im Schulalter, die seit mehreren Jahren die Schule nicht besuchen können.

Und in der Schweiz?

Auch in der Schweiz, welche die UN-Kinderrechtskonvention 1997 ratifizierte, wird das Kind heute vermehrt als eigenständige Persönlichkeit wahrgenommen. Kann ein Kind jedoch nicht in der eigenen Familie aufwachsen, nehmen Behörden immer noch zu wenig Rücksicht auf die individuelle Situation des Kindes und seines Umfeldes. Der Platzierungsentscheid hängt vor allem von der Kostengutsprache der jeweiligen Behörde ab. Sie kann jederzeit eine Umplatzierung bestimmen. Wenig Rücksicht wird auf die Konstanz der Betreuung und Förderung genommen, die dem betroffenen Kind einen Lebensraum für seine gelingende Entwicklung ermöglichen. So kommt es vor, dass die fachliche Begleitung eines Pflegekindes in Frage gestellt oder mitten im Betreuungsprozess aufgekündet wird.

Mit Schulden in die Selbständigkeit?

Stossend ist auch, dass man von jungen Erwachsenen, die während ihrer Ausbildung in der Pflegefamilie oder in einer Jugendwohnung über das achtzehnte Lebensjahr hinaus betreut wurden, die Kosten zurückfordert, die sie seit ihrer Volljährigkeit «verursachten», während sie noch ihre Erstausbildung absolvieren. In der Folge müssen sie ihr selbständiges Leben mit Schulden beginnen.

Dank der UN-Kinderrechtskonvention, die alle Länder unterzeichneten, wird das Kind vermehrt als eigenständige Persönlichkeit wahrgenommen als vor dreissig Jahren. Doch nehmen in Politik und Wirtschaft seine Anliegen zu wenig ernst. Es braucht den ständigen Einsatz der Zivilgesellschaft, damit jedes Kind, jede/r Jugendliche unabhängig vom sozialen Hintergrund eine kindes- bzw. jugendgerechte Betreuung und einen Rahmen erhält, in dem sie oder er sich entwickeln kann.

Ich danke allen tipiti-Mitarbeitenden, die sich durch ihren täglichen Einsatz als Pflegeeltern, Mentorin für einen Jugendlichen, Betreuerin oder Lehrer für die uns anvertrauten Kinder und Jugendliche engagieren.