Übergänge sind Zeiten besonderer Achtsamkeit

Gabi Täschler (44) ist Familienfrau und Sozialarbeiterin mit verschiedenen Coaching-Weiterbildungen. Seit Kurzem arbeitet sie als Fachberaterin Zweigfamilien und Coaching bei tipiti, nachdem sie zwölf Jahre lang Schulsozialarbeiterin war. Sie sinniert zu Übergängen und ihrer Funktion im Leben nach und findet, dass Eltern, die ihr Kind in eine Pflegefamilie abgeben müssen, stärker einbezogen werden sollten.

Jasmine Häni, tipiti Fachberaterin Übergangspflege, hat dieses Porträt aufgeschrieben

Bevor ich hier arbeitete, kannte ich tipiti nur als Organisation. Mir gefällt die Idee, Kinder in Pflegefamilien zu platzieren und nicht in Heimen. Ich möchte nicht alle Heime über einen Kamm ziehen, aber es ist doch ein qualitativer Unterschied, ob ein Kind in einer Familie Fuss fassen kann oder in einem durchstrukturierten Heim aufwächst.

Zum Geburtstag eine Stelle bei tipiti

Wie ich zu tipiti kam? Eine Bekannte von uns und Mitarbeiterin von tipiti rief mich an und erzählte mir von der offenen Stelle. Es war genau an meinem Geburtstag! Was sie erzählte, machte mich neugierig. Schon seit längerer Zeit hatte ich mich mit dem Gedanken befasst, die Schulsozialarbeit zu verlassen und neues Terrain zu betreten. Die heutige Kollegin sagte zu mir: tipiti macht echt gute und sinnvolle Sozialarbeit. Der Übergang von meinem letzten Arbeitsort zu tipiti war eine schöne, aber auch schmerzliche Zeit. Einerseits wurde ich bei tipiti sehr herzlich empfangen und schnell ins Team integriert. Doch, was man zurücklässt, ist auch immer mit Abschied und Trauer verbunden. Zwölf Jahre Schulsozialarbeit – das bindet! Ich musste mich nicht nur von langjährigen Arbeitskolleg*innen verabschieden, sondern auch von gewohnten Abläufen, Strukturen und Räumlichkeiten.

Übergänge sind sensible Phasen

Es gibt grundsätzlich im Leben und in der Entwicklung sensible Phasen. Übergänge sind Zeiten der Achtsamkeit für alle Beteiligten im System. Es sind empfindliche und herausfordernde Zeiten. Ganz grundsätzlich ist bei Übergängen und speziell bei Kindern und Jugendlichen die Frage, ob er geplant, vorbereitet und zielgerichtet oder ungeplant ist, weil zum Beispiel eine wichtige Bezugsperson oder eine Vertrauensperson ganz unverhofft verstirbt. Dann ist zum Beispiel ein Wechsel der Wohnsituation etwas ganz anderes als ein geplanter Wechsel. Egal, ob geplant oder nicht, Kinder brauchen Orientierung darüber, was passiert, wohin geht es und wer an ihrer Seite ist. Sie brauchen Sicherheit, dass die Veränderung für ihre Biographie wahrscheinlich positiv oder zumindest ein grosser Schritt vorwärts sein wird. Eine Rückplatzierung zu den leiblichen Eltern zum Beispiel: Es ist ja auch etwas Schönes, wenn das Kinder wieder Zuhause leben darf.

Übergänge bedeuten für Kinder auch Entwurzelung

Übergänge, die von Zuhause wegführen, sind für alle, aber vor allem für das Kind, immer eine enorme Herausforderung. Auch für die Begleitpersonen, auch seitens tipiti, ist eine Neuplatzierung immer eine grosse Geschichte, und es ist wichtig, diesen Schritt entsprechend zu würdigen. Ein Übergang kann bei Kindern Freud und Leid auslösen, je nachdem, in welche Richtung er geht, bleibt aber eine Herausforderung, da es auch um Entwurzelung geht. Es betrifft ja nicht «nur» die Entwurzelung aus dem Herkunftssystem, sondern auch aus dem Kollegenkreis, aus der Schulklasse, einem Verein usw. Diese Elemente halte ich für wesentlicher als zum Beispiel den Wohnort – ob dieser Wil oder Frauenfeld heisst, spielt wahrscheinlich weniger eine Rolle, als der Schritt, jene Menschen und Strukturen zurückzulassen, die im Leben des Kindes bis anhin eine Stütze waren. Dort muss man schauen, was ein Kind mitnehmen kann, vielleicht Brieffreundschaften oder Jahresbesuche. Auch Abschiede sind wichtig; die Freunde und das Umfeld sollten das Kind auch gehen lassen, zuversichtlich sein und ihm Mut machen.

Das Herkunftssystem vermehrt einbinden

Ich glaube, dass die Arbeit rund um das Einbinden des Herkunftssystems zentraler werden sollte. Oft ist es so, dass alle begleitet sind – das Kind und die Pflegefamilie über eine Organisation –, und klare Ansprechpartner haben. Die abgebenden Eltern haben als einzigen Ansprechspartner den Beistand oder die Beiständin, der oder die aber eigentlich für das Kind zuständig und mitverantwortlich für die Platzierung ist. Er oder sie bringt zumindest aus der Sicht der Eltern eine Grundparteilichkeit mit sich. Man sollte die leiblichen Eltern mit einbeziehen. Alle erwähnten Prozesse laufen auch bei ihnen ab. Es ist ein Trauerprozess und sie haben oft das Gefühl, etwas nicht geschafft, nicht erreicht zu haben. Sie werden von staatlichen Stellen beurteilt, ganz viel Privates ist nicht mehr privat.

Abgebende Eltern oft allein gelassen

Bestimmt fühlen sich viele leibliche Eltern ohnmächtig und hilflos. Sie stellen in Frage, was sie bisher getan haben, und das ist auch mit Scham verbunden. Und hier nehme ich von vielen Eltern wahr, dass sie sich alleine gelassen fühlen. Diese Eltern bräuchten in dieser Zeit ein Coaching. Aber das kostet natürlich wieder Geld. Die Erwartung wäre keine jahrelange Begleitung, aber eine Würdigung dessen, dass es ein sehr schwerer Übergang ist, ihr Kind abgeben zu müssen, von dem sie massiv betroffen sind. Sie sind, abgesehen vom Kind, die ersten Betroffenen. Hier gibt es eine riesige Differenz, wenn man schaut, was das Kind von professioneller Seite bekommt und was die leiblichen Eltern bekommen.