Pflege und Adoption: Von der Klein- zur Grossfamilie

Adoptiv- und Pflegeeltern, Pflegefamilie, Grossfamilie

Francois Rappo (49) und Sandra Berger Rappo (48) sind seit zwölf Jahren Pflege- und seit kürzerer Zeit Adoptiveltern. Ihre siebenköpfige Familie wird von tipiti begleitet. Beide Eltern sind pädagogisch ausgebildet und waren gut auf ihre herausfordernde Aufgabe vorbereitet. Die zwei wichtigen Übergänge in ihrer Familie forderten sie dennoch ziemlich heraus – und tun es noch, wie sie uns hier erzählen.

Wir wollten zu unseren eigenen Kindern Pflege- und Adoptivkinder aufnehmen. Es stellte sich heraus, dass wir keine Kinder bekommen können und wir haben uns umorientiert. So besuchten wir einen Einführungskurs bei der Pflegekinderaktion St. Gallen. Da diese keine begleiteten Pflegeverhältnisse mehr anbietet, empfahlen sie uns tipiti. Seither sind wir bei tipiti, denn wir können uns die Aufgabe als Pflegeeltern ohne fachliche Begleitung nicht vorstellen. Mittlerweile sind wir seit über zwölf Jahren Pflegeeltern. Wir erleben im Alltag immer wieder kleine, aber auch grössere Übergänge und gestalten diese sehr bewusst mit den Kindern. Wir haben erfahren, dass Übergänge bei den Kindern häufig Ungewissheit auslösen und schwierig sind. Sie werden aber berechenbarer und einfacher, wenn man sie offen thematisiert.

Übergang zur Pflegeelternrolle

Ein sehr prägender Übergang war, als wir ein kleines Geschwisterpaar aufnahmen, ein dreijähriges Mädchen und einen einjährigen Jungen – sie sind heute fünfzehn und dreizehn. Nun waren wir Pflegeeltern! Die neue Rolle freute uns. Der kleine Junge konnte nächtelang nicht schlafen, kam kaum zur Ruhe und hatte grosse Ängste. Dies und die uns teils unverständlichen Verhaltensweisen der beiden waren eine grosse Herausforderung. Oft konnten wir nicht erkennen, wieso z.B. das Mädchen in der Migros einen Schreianfall bekam. Mit der Zeit lernten wir die Kinder immer besser kennen aber auch lesen und konnten ihre Gefühlszustände übersetzen.

Seit einem Jahr auch Adoptiveltern

Ein weiterer Übergang, der uns sehr prägte, war die Adoption von drei kleinen Jungen im Alter von zwei, drei und sechs Jahren. Wir waren so gut vorbereitet, wie es nur möglich war. Wir hatten uns vor zwölf Jahren entschieden, Kinder aus Kolumbien zu adoptieren.  Damals arbeiteten wir für einige Monate in einem kolumbianischen Kinderheim und konnten Leute, Land und Kultur kennenlernen – und vor allem auch die spanische Sprache. Anfang 2020 war es dann soweit; wir reisten nach Kolumbien, um die drei Kinder zu adoptieren. Eine Freundin begleitete uns, um uns in den ersten zwei Wochen zu unterstützen. Während der Übergabe erlebten wir alle eine Achterbahn der Gefühle: riesige Freude, Unsicherheit, aber auch Angst, ob die Kinder uns annehmen. Dann, als wir sie zum ersten Mal sahen, begrüssten sie uns herzlich mit Mama und Papa. Sie umarmten uns und unsere zwei Pflegekinder und waren völlig aufgedreht. Es gab eine kurze Feier, dann durften wir die Kinder mitnehmen – sie gehörten jetzt zu uns.

Was löst das aus?

Alle diese Übergänge waren von unterschiedlichsten Gefühlen geprägt: grosse Freude, eine siebenköpfige (Pflege-)Familie zu werden, Respekt, ob wir dieser Aufgabe gewachsen sind, aber auch Gewissheit und Vertrauen darauf, dass dies unser Weg ist. Natürlich stellten sich viele Fragen. Was macht dies mit unseren Pflegekindern? Was löst es bei uns aus? Haben wir nach zwölf Jahren Wartezeit noch die Kraft, uns nochmals so intensiv zu investieren? Haben wir dann noch Zeit für uns als Ehepaar? Vom einen auf den anderen Tag waren wir in einer neuen Rolle als Eltern einer Grossfamilie mit zwei Pflege- und drei Adoptivkindern. Wir erleben mit den Adoptivkindern wieder ähnliche Themen wie damals mit den Pflegekindern.

Unsere drei Adoptivkinder sind im Herkunftsland gut auf die Adoption vorbereitet worden. Sie freuten sich, eine Familie zu bekommen. Dennoch waren sie sehr herausgefordert, so plötzlich mit einer völlig fremden Familie mitzugehen und eine Beziehung aufzubauen. Ihre bekannte Umgebung zu verlassen, löste grosse Verunsicherung aus. Auch unsere Pflegekinder erlebten ein Gefühlschaos zwischen Vorfreude und der Angst, zu kurz zu kommen. Sie konnten sich aber darauf einlassen. Die Kleinen brauchten sehr viel Aufmerksamkeit von uns. Dadurch bekamen unsere Grossen mehr Freiheiten zugesprochen und übernahmen mehr Verantwortung. Rückblickend können wir sagen: alle haben an Reife gewonnen.

Gute Vorbereitung

Wichtig ist, dass die Kinder gut und altersgerecht vorbereitet werden, zum Beispiel mit Bildern oder Videos vom Herkunftsland, lernen über die eigenen Gefühle zu sprechen und im Alltag Platz schaffen für die neue Familie. Den Kindern und uns hat sehr geholfen, dass wir gut spanisch sprechen- So konnten wir die Bedürfnisse der Adoptivkinder besser verstehen und ihnen dadurch Sicherheit vermitteln. Die Adoption verlangte ein hohes Mass an Achtsamkeit. Da wir mit unseren Pflegekindern viele Jahre an ihren Themen gearbeitet hatten, waren wir auf kommende Herausforderungen gut vorbereitet.

Wir schätzen die Unterstützung durch tipiti und unserer Fachbegleiterin Patrizia sehr. Unser Wunsch an die Zukunft ist, als Familie weiter zusammenzuwachsen und nötige Ressourcen bereitstellen zu können, damit sich die Kinder weiterhin gut integrieren und entwickeln können.